Filmkritik: Here
- Felix Knorr

- 15. Nov. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Wie schaffen wir Erinnerungen und was bedeutet eigentlich Zeit? Mit einem interessanten Technik-Konzept nähert sich Geschichtenerzähler Robert Zemeckis dieser Frage. Wie geglückt ist Here mit Tom Hanks und Robin Wright?
Here (2024: Robert Zemeckis), Kinostart: 12. Dezember 2024
Freude, Hoffnung, Verlust und Liebe. Das Leben findet in einem einzigen Raum statt. Beispielsweise verbringt Richard (Tom Hanks) in jenem Raum die Kindheit mit seinem Vater Al (Paul Bettany) und seiner Mutter Rose (Kelly Reilly). Später bringt er sein Highschool-Date Margaret (Robin Wright) mit nach Hause und gründet mit ihr später seine eigene Familie in genau diesen vier Wänden. Doch das muntere Treiben ist zeitlich umgeben von anderen Geschichten und verschiedenen Menschen, die bereits auf diesem Fleck Erde ihre Spuren hinterlassen haben. Zahlreiche Erinnerungen, die geschaffen und zerstört wurden.

Traumfabrik in Reinform
Der US-amerikanische Regisseur Robert Zemeckis gilt wohl, neben Buddy Steven Spielberg, als einer der größten Geschichtenerzähler aus Übersee. Stets verbindet er technische Präzision und Besonderheiten mit ausufernden Geschichten. Die Zurück-in-die- Zukunft-Trilogie wurde so ikonisch, weil sie die US-Kultur mit einer flippigen Science-Fiction-Geschichte weiterspinnt. Cast Away verinnerlicht den Gedanken vom großen Hollywoodkino, das in dieser Weise nicht mehr gemacht wird. In seinem prestigereichsten Blockbuster lässt der 72-jährige Filmemacher einen Jungen vom Lande durch die Vereinigten Staaten sprinten.
Tom Hanks als Forrest Gump ist in der Medienwelt tief verankert. Für seinen neuen Film arbeitet Zemeckis erneut mit Drehbuchautor Eric Roth zusammen, der für das 1990er-Werk einen Oscar entgegennehmen durfte. Auch Powercouple Hanks und Robin Wright mimen wieder vor der Kamera, um die Chose endgültig mit Nostalgie aufzuladen.
Die Geschichte der Zeit
Basierend auf der Graphic Novel von Richard McGuire erzählt Here im Endeffekt eine konventionelle Anthologie. Die Kamera befindet sich an einem Fleck und bleibt (bis auf eine Ausnahme) statisch. Aus dieser Perspektive wechseln die Zeitebenen und mehrere Menschen finden sich räumlich wieder. Verschiedene Zeitebenen von unterschiedlichen Menschen, die an dieser Stelle bzw. in diesem Haus gewohnt haben, dienen in der Einführung als Rahmen für das aufwendige Konzept. Zemeckis zeigt uns die Kreidezeit, in der die Dinosaurier über die Erde rannten; ein indigenes Paar stapft durch den Wald; das Gebäude wird an diesem Ort Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut.
Ähnlich wie in Forrest Gump wird die amerikanische (Gründungs-)Geschichte im Schnelldurchlauf karikiert. Die verschiedenen Ebenen werden angerissen, doch letztlich interessiert sich der Film durchweg nur für die Familie Young (genialer Zeit-Name!) und ihre stetige Entwicklung. Als wäre eine konventionelle Erzählung umgeben von mehreren Kurzgeschichten, die sich der konstruierten Räumlichkeit anpassen.

Wenig Leben in den Vier Wänden
Die Quintessenz macht sich von Beginn an breit: Die Vergänglichkeit ist unabdingbar, doch Erinnerungen haben den größten Wert. „Lebe im Moment“ – so würde es im Kalender stehen. Familie Young hat es nicht leicht. Es kommt zu Todesfällen, es gibt Streit, Versöhnungen. Eine Scheidung und ein zurückhaltendes Lächeln. Die Vorzeigefamilie mit Problemen in den eigenen vier Wänden. Das Publikum lacht, wenn die Kinder Schabernack treiben. Und es weint, wenn wir an die schmerzhaften Erinnerungen denken. Doch Here arbeitet an dieser Methode bis ins kleinste Detail und lässt durch seinen technischen Aspekt die Menschen selbst zu einem Gimmick verkommen.
Von einem der größten Traumfarbik-Regisseure konnte man keine subtile Menschheitstragödie erwarten, doch diese Abhandlung verläuft zu berechnend und familientauglich; wie ein Foto-Kinderbuch, das den Umgang mit Altern und Tode näherbringen soll. Bei Here trifft Forrest Gump auf den einschlägigen A Ghost Story, ohne den erschreckenden Nihilismus und die Drastik der existentiellen Fragen von David Lowerys Horrordrama zu wahren.
Vielleicht ist Here nicht die neoliberale Propaganda, die viele in Forrest Gump sehen, doch jegliche Kapitalismus-Kritik und Systemausbrüche sind hier Behauptungen. Einschlägige, gesellschaftlichen Missstände der US-amerikanischen Geschichte, beispielsweise die Apartheid oder Traumata des Vietnamkriegs, werden höchstens romantisierend hinterfragt. Damit verwahrlosen sie zu einem zweckmäßigen Klischee. Sie werden in die räumliche Norm gepresst, um die Zeitebene aufzupolieren.

Die Filmtechnik verkommt zur Aufhängung
Das Konzept der Statik funktioniert bei Filmemachern wie dem Schweden Roy Andersson, gerade weil die Welt als physischer Zwang der Räume inszeniert wird und sich der lakonischen Handschrift angleicht. In Here visualisieren das Mobiliar die räumliche Veränderung und verweisen auf das Zeitkolorit; die Zeit hingegen bleiben trotz Vergänglichkeit stehen.
Zemeckis kann rührend-milde Geschichten erzählen und manche Szenen funktionieren auch durch das Talent der Schauspielenden. Doch die Statik der Kamera als visuelles und thematisches Konzept hemmt selbst den Raum für große Gefühle. Dynamik und Perspektivwechsel sind wichtig für das Melodram; wie sehr vermisst man eine pointierte Nahaufnahme.
Zeit wird für uns alle nicht anhalten. Die Gesellschaft verändert sich und den Film, doch Here behauptet eine Gesellschaft zu verändern. Das filmtechnische Konzept mag ein interessanter Ansatz sein, doch das umtriebige Melodram muss sich der Statik unterordnen. Fragen über das Leben und Menschsein werden großspurig aufgebaut, um letztendlich einer konservativen Geschichte zu dienen.



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