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Filmkritik: Die Fabelmans

  • Autorenbild: Felix Knorr
    Felix Knorr
  • 29. Mai 2023
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 15. Juni 2023

Kennen Sie schon Steven Spielberg? Wir helfen gerne und geben Auskunft über diesen Regie-Neuling: Über 50 Jahre Filmemachen, über 40 Filme inszeniert, dutzende mehr produziert. Filmemacher, Unternehmer, Geschichtenerzähler. Der weiße Hai, Jurassic Park, Schindlers Liste. Hat nen neuen Film gemacht – reicht jetzt als Einleitung.

Die Fabelmans (The Fabelmans, USA 2022: Steven Spiegelberg)


Die Leidenschaft von Sam Fabelman (Gabriel LaBelle) ist das Filmemachen – ein Interesse, das seine kunstbegeisterte Mutter Mitzi (Michelle Williams) schätzt und fördert. Sams Vater Burt (Paul Dano) hingegen, ein erfolgreicher Ingenieur, befürwortet Sams Arbeit zwar, hält sie aber für nicht mehr als ein Hobby. Doch die Faszination für bewegte Bilder lässt den jungen Sam nicht mehr los. In immer aufwendigeren Filmproduktionen setzt der Nachwuchsregisseur seine Schwestern und Freunde in Szene. Doch als die Fabelmans umziehen und es zu Turbulenzen innerhalb der Familie kommt, muss sich Sam mehr denn je auf seine Liebe zum Kino und die Macht der Filme besinnen, um seine Träume nicht aus den Augen zu verlieren.

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Das Leben als indexikalisches Zeichen auf Film (© Universal 2022)

Die Magie des Kinos?

Es scheint fast schon verwunderlich, dass Altmeister Steven Spielberg erst im hohen Alter ein autobiografisches Werk über die Magie des Kinos erzählen möchte. Spielberg gilt als anpassungsfähiger Geschichtenerzähler und blitzsauberer Inszenator. Doch viele seiner Filme haben auch persönlichen Charakter: Mit dem preisgekrönten Holocaust-Drama Schindlers Liste verarbeitete er auch einen Teil seiner eigenen Herkunft und hielt 1994 daraufhin eine emotionale Dankesrede bei den Academy Awards, bei der er insbesondere seiner anwesenden Mutter dankte.


In Spielberg neuestem Werk arbeitet er seine eigene (Familien-)Geschichte filmisch auf. Die Geschichte beginnt also mit einem Jungen, der sich in das Kino verliebt. Sams Eltern nehmen ihn mit ins Lichtspielhaus und seine Augen beginnen zu leuchten, als er einen spektakulären Zugunfall auf der Leinwand verfolgen darf. Spektakel – Metatext und Diegese beginnen sich das erste Mal zu verbinden. Sam möchte diesen Unfall mit seiner Spielzeugeisenbahn nachstellen und greift zu einer der Kameras seines Vaters. Es ist um ihn geschehen. Das Leben wird inszeniert.


Viele Filmstudierende werden sich bei dieser Coming-of-Age-Geschichte denken: ,,Wow, dieser Sam ist genau wie ich!‘‘. Leider wirkt gerade dieses erste Drittel von ,Die Fabelmans‘ wie eine generische Jagd nach der eigenen Passion. Dass bei Spielberg Emotionalität und Theatralik nah beieinander liegen, ist bekannt. Doch das Funkeln in den Augen des filmbegeisterten Jungen spielt jenes affektive Innen- und Außenleben wider, was rückblickend schon in dem italienischen Klassiker über das Kino Cinema Paradiso stark emotionalisiert wurde. In Giuseppe Tornatores Film hingegen spürt man jenen jugendlichen Leichtsinn jedoch simultan durch die bereitgestellten Bilder eines Erstlingswerks. Spielbergs Melancholie ist gekonnt durch die Hände eines Altmeisters durchstilisiert – dadurch zu Beginn allerdings zu offensichtlich.


Zuschauender meines eigenen Filmes

Die interessanten Ideen von Die Fabelmans offenbaren sich, wenn Sam als Jugendlicher die Leidenschaft zum Filmemachen fortführt. Er produziert mit seinen Pfadfinder-Kollegen Kriegs- oder Horrorfilme, schneidet sie eigenständig zuhause und führt sie dann vor Freunden und Familie auf. Währenddessen gerät sein Familienleben ins Wanken. Durch diese simultanen Ereignisse entwickelt die Geschichte innerfilmisch eine Diskrepanz zwischen Realität und Fiktion. Es steht ein Umzug bevor und Sams Eltern streiten sich regelmäßig. Zufällig erfährt er durch das Filmemachen davon, dass sich seine Mutter und der beste Freund seines Vaters (Seth Rogen) näherkommen. Die Symbiose aus Film und Sams Realität beginnt nun unwiderruflich und entfaltet letztendlich die wahre Stärke von Spielbergs Abgesang auf sein Heranwachsen.


Die Fabelmans ist nämlich kein Film über das Kino, sondern ein Film über das Leben, wie es im Kino bzw. durch die Augen des Regisseurs gesehen wird. Sam sieht das familiäre Drama nur aus den Augen des besten Kamerawinkels. Überdeutlich wird dies in einer signifikanten Szene, bei der Sam während eines Streits in der Spiegelung mit seiner Analogkamera aufblitzt. Sieht sich hier Sam mit seinen eigenen Augen oder sieht sich Steven mit Sams Augen? Spielberg stellt sich Fragen über die Rolle des Filmemachers und verpackt sie in ein autobiografisches Familiendrama.

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Familien(un)glück im Lichtspielhaus (© Universal 2022)

Regisseur am Rande der Gesellschaft

Das Schuldrama bleibt, wie in jedem guten (und nicht so guten) Coming-of-Age-Film, nicht aus. Sam ist der verstreute Außenseiter auf der Schule und wird von den klassischen Sportler-Bullys auch wegen seines jüdischen Glaubens verprügelt. Doch auch hier lässt sich der junge Protagonist nicht von seinen Gefühlen leiten und handelt stets so, dass es das beste Resultat für den nächsten Film ergibt. (Und gibt damit gleichzeitig einen zynischen Kommentar über die Präsenz von Schauspiel-Ikonen ab). Erneut stellt sich die Frage: Kann man das Leben noch als Leben sehen, wenn man es schon verfilmt hat?


Die Geschichte der filmischen Familie ist persönlich, detailverliebt und zuweilen auch einfühlsam. Als Kleinkritiker zu behaupten, Spielberg verstünde sein Handwerk, fühlt sich in Anbetracht der pompösen Optik fast erbärmlich an. Narrativ wirkt vor allem die Beziehung zu seiner Mutter wirkt ambivalent – schafft sie sogar durch Ablehnung und Abstand innige Liebe, die am ,echtesten‘ in der Geschichte wirkt. Großen Anteil an diesem Umstand hat Michelle Williams, die wie eine leichtfüßige Film-Ballerina durch den Film tänzelt – inszeniert von Steven Spielberg, wie auch Sam seine Mutter auf Film für die Ewigkeit festhält. Insgesamt gehört es schon zur Tradition für Schauspieler in Spielberg-Filmen zu glänzen – bei der gesamten Riege in Die Fabelmans verhält es sich kaum anders. Bei Judd Hirsch hat ein kurzminütiger Auftritt bereits für eine Oscar-Nominierung ausgereicht. Und für einen ikonischen Moment darf dann noch eine (bzw. zwei) andere Regie-Legende sorgen, aber diese witzige Szenerie wurde sowieso schon auf Twitter geleakt…


In einem Interview von 2010 konstatiert Spielberg, dass er Regisseure wie Martin Scorsese oder Orson Welles dafür bewundert, dass diese einen wiedererkennbaren Style in ihrem filmischen Schaffen haben. Ihm selbst fehle diese signifikante Handschrift – er sei ein guter Geschichtenerzähler und wisse, wie man ein gutes Drehbuch visualisiert. Nach Die Fabelmans fragt man sich: Ist gerade die Anpassung für die bestmögliche Filmlösung – gepaart mit Humanismus und Spektakel – die Handschrift von Steven Spielberg? Das Leben als Film.


Voll der krasse Film, alle sagen das.

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