Filmkritik: Problemista
- Felix Knorr

- 24. Mai 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. Juni 2024
Problemista erzählt die Geschichte eines jungen Kreativen, der sich in der komplexen Welt zurechtfinden muss. Er weiß, dass er Talent hat, doch ihm werden viele Steine in den Weg gelegt. Klingt wie die Biografie eines erfolglosen Möchtegern-Filmkritikers, der seit Ewigkeiten studiert. Naja, lassen wir das.
Problemista (2023: Julio Torres)
Alejandro verliert durch ein eigens herbeigeführtes Missgeschick seinen Job bei einem Unternehmen, das Menschen einfriert, um sie in Zukunft wieder aufzuwecken. Da das Arbeitsvisum des ambitionierten Spielzeugdesigners demnächst abläuft, muss er sich nach einem Übergangsjob umschauen. Prompt fängt er als Assistent für die unberechenbare Witwe und Künstlerin Elizabeth an. Gemeinsam wollen die beide die skurrilen Gemälde ihres verstorbenen Ehemanns verkaufen. Dies wird zur letzten Gelegenheit für Alejandro, um seinen Traum, eine Einstellung bei Hasbro, in den USA verwirklichen zu können.

Neue Talente
Die Förderung von jungen und aufstrebenden Autorenfilmern ist eine wünschenswerte Entwicklung im weiten Kosmos der Hollywood-Produktionen. A24 gilt dahingehend schon länger als Vorreiter unter den Filmproduktionsgesellschaften. Spätestens durch den immensen Publikums- und Awards-Erfolg von Everything Everywhere All at Once erfährt das Unternehmen große Beliebtheit, gerade auch in den jüngeren Kreisen.
Julio Torres war bisher als Redakteur bei Saturday Night Life tätig und gilt als Mitentwickler der HBO Serie Los Espookys, einer spanischsprachigen Comedyserie. Der aus El Salvador stammende Allrounder nimmt für seinen Debütfilm nicht nur auf dem Regiestuhl Platz, sondern verfasste eigenständig das Drehbuch, fungiert als Produzent und mimt neben Tilda Swinton die Hauptrolle in PROBLEMISTA. Da Alejandro in der diegetischen Welt ebenso aus dem nordamerikanischen Staat stammt und das Ziel einer kreativen Arbeit verfolgt, erzählt Torres durchaus in autobiografischen Aspekten die skurrile Reise eines queeren Migranten in New York City.

Richtige Karen
Alejandros Verpeiltheit und Ungeschicklichkeit manövriert ihn in die angeführte prekäre Situation. Mit seinem eigenwilligen Gang, der durchweg abstehenden Tolle im Haar und dem leichten spanischen Akzent erscheint er rasch als liebenswürdig-schrullige Person. Mit Elizabeth wird dem schüchternen Jungen eine sozial-kommunikative Naturgewalt entgegengesetzt. Eine Karen, wie sie in der heutigen Meme-Kultur bezeichnet werden dürfte. Sie ist eine der weißen Mittelschicht angehörige Frau, die sich über jegliche Bagatelle zu beschweren weiß. Doch gerade diese unwiderstehlich widerliche Ignoranz und das penetrant-pedantische Auftreten werden zur komödiantischen Offenbarung von Problemista. Tilda Swintons Hang dazu, mit unbekannteren Filmschaffenden zu arbeiten und sich in Rollen dieser Art zu vertiefen, muss ihr hoch angerechnet werden. Man kann nur hoffen, dass die schottische Schauspielerin durch Schockfrostung tatsächlich ewiges Leben erhält.
Eggything Eggywhere All at Egg
Dass das ungleiche Paar Gemälde mit nichts außer Eiern veräußern möchte, wird zum Teil eines aufkeimenden random humour. Auch auf audiovisueller Ebene verläuft die Sinnsuche Alejandros nicht als subtile Verhandlung mit der eigenen Identität und den unausgefüllten Träumen. Bereits unter Verweis auf die salvadorianischen Mutter wird ein traumähnliches Konstrukt aufgebaut. Im weiteren Verlauf entstehen weitere bildhafte Zwischenwelten, die die Skurrilitäten der Geschichte verlauten lassen sollen.
Die überambitionierten Einfälle und Überebenen erinnern stark an den erwähnten Erfolgshit EEAAO. Es scheint kein Zufall zu sein, dass die Grundidee eines Migranten(-kindes) im Labyrinth des Erwachsenwerdens strukturelle Parallelitäten aufweist. Zwar wird Problemista stringenter erzählt und die obstipierte Bizarrerie fällt weniger drastisch aus, doch die Vehemenz dieser anarchischen Palette war das, was den oscarprämierten Film der Daniels auszeichnete. In Torres‘ Erstlingswerk wirken die Schauwerte wie das Mittel zum Zweck. Von einer vereinfachten Coming-of-Age-Geschichte soll sich abgegrenzt werden, um auf der Welle eines etablierten Erfolgs mitzuschwimmen.

Das Saltburn-Problem
Das Schicksal von Alejandro ist gewiss kein einfaches und kann exemplarisch für das Leben vieler Migranten in den Staaten stehen: Er könnte seine Lebensgrundlage verlieren und als Teil einer Minderheit sogar die Identität. Als er die vakante Stelle bei der giftigen Elizabeth besetzt, wird dies zu seiner letzten Chance im kapitalistischen System der USA. Und dennoch folgt er dem American Dream.
Dass sich dahinter eine perfide Offenbarung versteckt, zeigte schon Saltburn von Emerald Fennell auf erschreckende Weise. Dort wird sich das beliebte Thema der Demaskierung des Kapitalismus ausgesucht und auf wenig zynische, wenig clevere und leer-provokative Weise verhandelt. Durch die Aufrechterhaltung des Etablierten und die visuelle Anbiederung an eine vorher ausgelotete Zielgruppe bestärkt er das zu verurteilende System regelrecht.
In Problemista geschieht ähnliches, auch wenn der Protagonist zunächst vor den Hürden eines diskriminierenden Kapitalismus steht. Letztendlich entscheidet sich Alejandro jedoch für den vorgelebten Weg, um zum Arbeiter der eigenen Baustelle zu werden. Hier wird, trotz der quietsch-bunten Zwischenräumen, keine Gegenwelt aufgetan oder Umstände hinterfragt. Lediglich die Identitätssuche eines Individuums im Kunstbetrieb und die intersektionale Perspektive werden zu einem interessanten Aspekt. Doch die scheinheilige Prämisse eines zweifelnden Migranten in einer Metropole stagniert. Nichts funktioniert im Kapitalismus besser als die Kritik am Kapitalismus.
Julio Torres versucht mit seinem ambitionierten und überladenen Debüt, einem Erfolgsfilm nachzueifern. Gelungen ist die Darstellung der skurril-ulkigen Figuren und die unerschütterliche Präsenz von Tilda Swinton. Leider wirkt die scheinheilige Kapitalismus-Kritik und die halbgare Satire auf den Kunstmarkt wie seit Jahrzehnten eingefroren.


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