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Filmkritik: Dream Scenario

  • Autorenbild: Felix Knorr
    Felix Knorr
  • 31. Jan. 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 27. Juni 2024

Ein Ehemann, der die besten Jahre schon hinter sich hat. Plötzlich wird er zum Meme. Und tötet im Traum Menschen. Gespielt von Nicolas Cage. Diese filmische Einladung sendet uns Kristoffer Borgli mit seinem ersten Hollywood-Film. Fragen sollten sich erübrigt haben.


Dream Scenario (2023: Kristoffer Borgli)


Paul Matthews (Nicolas Cage) arbeitet als Professor für Evolutionsbiologie an der Universität und lebt mit seiner vierköpfigen Familie ein herkömmliches Leben in einem ruhigen Örtchen.  Wortwörtlich wird er über Nacht zu einem weltweiten Phänomen, als er in den Träumen aller Menschen aufzutauchen scheint. In den gedanklichen Auswüchsen beobachtet er harmlos die Menschen in ihrer halluzinierten Welt. Schnell erhofft sich der Durchschnittstyp durch die überraschende Bekanntschaft und die mediale Aufmerksamkeit, sein angepeiltes Wissenschaftsbuch zu publizieren. Als er sich in Gesprächen mit einer Marketingfirma befindet, wendet sich allmählich die Euphorie, als sein Ebenbild gewalttätige Handlungen an den Träumenden vollzieht.


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© A24

Meme wider Willen?

Ein Normalo im Herbst seines Lebens, der Ansätze einer Midlife-Crises durchlebt und sich in der eigenen Anonymität verloren fühlt. Wie gerufen kommt also dieser Weltruhm, für den Paul nicht mal das Buch über Pinguine, das seine Leidenschaft darstellt, schreiben musste. Schnell steigt ihm die mediale Omnipräsenz in den Kopf und er fühlt sich in der Rolle des Stars sichtlich wohl. Doch stetig wird das Misstrauen der breiten Masse größer und die Entfremdung zu der eigenen Familie intensiver. Und wer könnte die Rolle eines memefizierten Losers besser verkörpern als jener Schauspielstar, der selbst als ein digitales Kulturphänomen gilt – zum Teil durch die eigene Kunst und Persiflage seiner selbst, aber eben auch durch jene Intermedialität (Aus Vampire's Kiss stammt etwa das berühmte ,You don’t say‘‘-Meme mit Cages aufgerissenen Augen).


Der norwegische Regisseur Kristoffer Borgli realisiert nach dem Publikumsliebling Sick of Myself seinen ersten englischsprachigen Beitrag und findet sich thematisch erneut in den grotesken Auswüchsen der Medienwelt/-dystopie wieder. Dass nun A24 und Ari Aster als Beteiligte der Produktion zur Seite springen, schien eine visuell-thematische Fügung zu sein. 2017 erschien Borglis fiktional-dokumentarisches Erstlingswerk Drib, das die Geschichte eines Comedians erzählt, der das internationale Werbegesicht eines Energydrinks wird. Die Mini-Paraphrase lässt erahnen, dass der 39-jährige Filmemacher für Dream Scenario viele Ansätze der Motivik übernommen hat.


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© A24

Dekonstruktion der Medien

Gerade aber der Vergleich mit Sick of Myself liegt nahe, bei der eine Frau eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit ihres Künstler-Freundes wird und daraufhin regelmäßig ein Medikament nimmt, das schwere Hautkrankheiten bei ihr auslöst, um das gewünschte Augenmerk zu erringen. In beiden Geschichten geht es um eine gewisse Gier nach Anerkennung und die Auseinandersetzung mit dem Starkult. Der signifikante Unterschied zwischen Signe (aus Sick of Myself) und Paul Matthews liegt darin, dass Aktivität und Passivität in der Medienwelt verschoben werden. Im Gegensatz zu seinem neuesten Film verläuft die ausufernde Medienschelte in dem Vorgänger eng mit der geschlossenen Dramaturgie und den raffiniert-schonungslosen Pointen. Die Auswirkungen, die die (Massen-)Medien als homogenes Publikum auf das Individuum haben, wirken nicht wie Behauptungen, sondern sind in eine Geschichte eingebunden, die diese gleichermaßen repräsentiert als auch dekonstruiert. Auch in Dream Scenario werden jene Mechanismen bedient, die es kritisiert (oder besser: einordnet), etwa als Paul sein Buch im Zuge des Ruhms pitchen möchte, aber sein Gesicht kein reines Werbeschild sein soll.  Hier wird die Verhandlung mit, über und durch die Medien allerdings zum Vordergrund der gesamten Geschehnisse. Die Narration ordnet sich einem Subtext unter, der keiner ist. Paul Matthews wandelt ohnmächtig voll Fame durch das Geschehen und bleibt handlungsunfähig wie in den Träumen anderer.  Der Protagonist wird nicht zu einem Meme der Diegese, sondern des Mediums selbst.


Die drei Werke des Autorenfilmers thematisieren die Überhöhungen der medialen Auswirkungen einer Digitalkultur, wobei die Kohärenz der Geschichte von Dream Scenario und die angesprochene Dekonstruktion seiner selbst nicht harmonieren. Die Medienschelte wird durch einen Schwenk in die Vermarktung der Träume (würde eher als Konzept in eine Black Mirror Episode passen) und dem einhergehenden Kapitalismus zu ausufernd, verhandelt dies zumindest niemals eindeutig.


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© A24

Fame & Häme

Vielfach wurde vor Veröffentlichung der schwarzhumorigen Komödie die kreative Prämisse gelobt. Oft hat sich gezeigt, dass die die Fallhöhe bei solchen Grundideen problematisch werden kann und Behauptetes in einem amüsanten Kurzfilm besser aufgehoben wäre. Zwar wird jene Konstellation in Dream Scenario wie ein Gimmick eingeführt und wie Cutaway Gags aus Family Guy verhandelt, doch zumindest Entwicklungen über den Ansatz hinaus sind gegeben. Auf narrativer Ebene mag es aus angesprochenen Gründen nicht durchweg funktionieren. Dass die Träume für den Content der Träumenden (Creator) in einer Welt steht, bei der das Ende der parasozialen Interaktion gekommen ist, wird nicht subtil aufgezeigt. Natürlich schweben soziale Medien, Cancel Culture und digitale Protestkulturen wie die Albtraum-Wolke über den Film. Doch ein einziges Individuum wird aus der Anonymität gerissen und zum Gegenstand der Popkultur erkoren. Er wird als Abbild seiner Person gefeiert und schließlich als Hassfigur in den medialen Untergrund verbannt.  Die große Stärke von Dream Scenario ist seine verspielte Uneindeutigkeit, bei man sich unsicher ist, ob ,wir uns über die oder sie uns über uns‘ lustig machen.


Unangenehme Szenarien und peinlich-absurde Pointen schafft Borgli auch auf gekonnte Weise in diesem filmischen Eintrag. Wie in Sick of Myself wird gezeigt, dass die Dekonstruktion sich selbst nicht ernst nimmt und die eigene Memefizierung , den Cringe, verinnerlicht. Die Situationskomik à la Curb Your Enthusiasm (oder im deutschsprachigen Raum Jerks) wird auf die Spitze getrieben und durch Nicolas Cages Vereinnahmung eines (oberflächlich betrachteten) Oberlosers gesteigert. Als schwarzhumorige Dystopieform, der die Zufälle einer überfrachteten Medienkultur herausstellt, macht der Film punktuell durchaus Spaß. Die grobkörnigen und auf Film gedrehten Bilder von Kameramann Benjamin Loeb fügen sich der einschnürenden Atmosphäre und der dokumentarische Look passt zu der thematischen Deutlichkeit.


DREAM SCENARIO war für Kristoffer Borgli der logische Folgeschritt in Übersee, A24 und Ari Aster als Produzent das passende Label. Dass er an seinen schwarzhumorigen Auswüchsen in der digitalen Medienlandschaft festhält, sorgt für ausgelassene Stimmung und unangenehme Momente im besten Sinne. Dass diese Verhandlungen auch auf geschickte Weise in die Geschichte eingearbeitet werden und nicht nur der Dekonstruktion willen geschehen, gelingt weniger. Die surreale Visualisierung und die gekonnte Montage verbinden sich aber harmonisch zu dem Albtraum ähnlichen Grundkonzept.

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