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Filmkritik: The Room Next Door

  • Autorenbild: Felix Knorr
    Felix Knorr
  • 17. Okt. 2024
  • 3 Min. Lesezeit

Pedro Almodóvar gilt als einer der einflussreichsten Regisseure des zeitgenössischen, europäischen Kinos. Bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig wurde sein neuester Beitrag mit dem Hauptpreis, dem Goldenen Löwen, ausgezeichnet. Eine überfällige Würdigung des Lebenswerkes oder gerechter Lohn für ein vielschichtiges Drama?


The Room Next Door (2024: Pedro Almodóvar), Kinostart: 24. Oktober 2024


In ihrer Jugend waren Ingrid (Julianne Moore) und Martha (Tilda Swinton) als Mitarbeiterinnen derselben Zeitschrift eng miteinander befreundet. Das ausgefüllte Leben der beiden sorgte dafür, dass sie sich aus den Augen verloren. Aufgrund von Marthas schweren Krebserkrankung treffen sich die Frauen in einer schwierigen, aber auch seltsam schönen Situation wieder. Denn Ingrid wird von ihrer Freundin gebeten, sie bei einer drastischen Entscheidung zu begleiten.

Deadpool & Wolverine unterwegs in der Leere
© Warner Bros.

Dem Tod ins Gesicht blicken

Der Tod als notwendiges Übel. Ein omnipräsentes Thema, das im Fall von The Room Next Door aus der Perspektive von erfolgreichen Intellektuellen und Kunstschaffenden erzählt wird. Ein Leben auf der Überholspur: Martha arbeitete jahrelang als Kriegsreporterin, hat die ganze Welt gesehen und dem Unheil mehrfach ins Auge geblickt. Unterstützung erhofft sie sich von Jugendfreundin Ingrid, die jüngst ihren nächsten Bestseller veröffentlicht hat.


Regisseur Pedro Almodóvar entwickelt die (erneut) aufkeimende Beziehung zwischen den beiden gestanden Frauen rasch und ohne Umwege, um ihnen nach der Wiederbegegnung hinreichend Entfaltung für eine reife, liebevolle Auseinandersetzung mit ihrer Freundschaft, der Vergangenheit und dem anstehenden Tod zu geben. Existentielle Fragen und Moralitäten diskutiert der spanische Autorenfilmer in seinem jüngsten Werk nicht zu ersten Mal. In Sprich mit ihr wird etwa in drastischen Bildern und Spannungsmomenten das gestört-intensive Verhältnis zwischen Pfleger und Komapatientin, die auf der Schwelle zum Tod steht, beleuchtet.


Toller Cast, mühsame Dialoge

Besonders Almodóvars Alterswerke funktionieren als sensible Beziehungsdramen mit emotionalen Ausbrüchen. Meist werden sie auf verschiedene Raum- und Zeitebenen gespannt, die durch Kniffe der Montage mit dem Drehbuch eine Synergie entwickeln. Als Beispiel sei die Oscar-nominierte Tragikomödie Leid & Herrlichkeit genannt, in der Antonio Banderas meisterhaft den nostalgischen und lebensüberdrüssigen Filmemacher Salvador verkörpert. In The Room Next Door richtet sich der Blick auf die eigene Vergänglichkeit und wird mit zwei der besten und wandelbarsten Hollywood-Schauspielerinnen besetzt. Mit der wandelbaren Swinton arbeite er bereits am Kurzfilm The Human Voice zusammen und die mehrfach prämierte Julian Moore gilt sowieso als Bank.


Es mag an der literarischen Vorlage Was fehlt dir von Sigrid Nunez liegen, doch von Beginn an fühlen sich die bedeutungsschwangeren und zuweilen poetischen Dialoge zwischen Ingrid und Martha zu krampfhaft an. Als läge ein tiefgehender Filter auf den Mündern der Figuren, die dem Thema ihren wahrhaften Sinn verleihen müssten. Selbst unter einer (pseudo-)elitären Gemeinschaft würde diese kommunikative Sinnsuche eher für ein überschwängliches Theaterstück geeignet sein. Tatsächlich wird man durch diesen Umgang von privilegierten Menschen an den diesjährigen May, December erinnert – doch die Inszenierung lässt, anders als bei Haynes Mediensatire, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit.

Ryan Reynolds und ein hässlicher Hund in Deadpool & Wolverine
© Warner Bros.

Mangel an Aufrichtigkeit

Erinnerungen eines Lebens visualisieren sich viel durch Kultur und Medien. Die beiden Frauen sprechen über gelesene Bücher, zitieren einzelne Passagen und kramen in der Airbnb-Wohnung in den DVDS, um sich alte Filme anzuschauen. Die Apartments der kultivierten Protagonistinnen zieren Sammlungen von Schallplatten, verschiedene Gemälde und modisches Mobiliar. Das pittoreske Setdesign ist fabehalft in Szene gesetzt und lässt vereinzelt stimmige Bilder entstehen, doch der Kontrast zwischen der pompös-prätentiösen Lebensrealität und den aufkeimenden Abgründen einer Freitod-Entscheidung geht nicht auf. Partiell wird mit verschiedenen Rückblenden gearbeitet, die weder für ein moralisches Gedankenspiel noch für den Aufbau einer intensiven Freundschaftsphase von Bedeutung scheinen.


Spaß machen vor allem die Szenen mit dem von John Turturro gespielten Daniel Cummingham, der einst Liebhaber von beiden Frauen war. Sein hemmungslos verzweifelter Blick auf den Zustand der Welt, gepaart mit der noch ausgeprägten Libido, ermöglichen erwachsene Unterhaltungen, die gleichsam unterhaltsam sind. Thematisch werden bei The Room Next Door gesellschaftliche Debatten in den Raum geworfen und angerissen. Man kann dem Ansatz – Umgang mit Krankheit und Tod als sensibles, inniges und erwachsenes Beziehungsdrama zu erzählen – durchaus Respekt zollen und etwas abgewinnen. Allerdings wirken weder Moores noch Swintons Charakter ausgereift in ihrer Wahrhaftigkeit zueinander, was bei deren Talent durchaus tragisch erscheint.


Almodóvar inszeniert ein bemüht aufrichtiges Alterswerk in der gewohnt farbreichen Umgebung. Es liegt nicht am tollen Ensemble, dass seine Formel vom ruhigen Freundschaftsdrama mit gesellschaftlich-moralischem Unterbau nicht aufgeht, sondern an den aufgesetzten Unterhaltungen.

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