Filmkritik: Drive-Away Dolls
- Felix Knorr

- 12. März 2024
- 3 Min. Lesezeit
Die Coen-Brüder gehen getrennte Wege. Zumindest wollen sie sich in der Filmwelt als Solisten beweisen. Dieses Jahr zieht der kleine Bruder Ethan nach und bringt einen Roadtrip über zwei lesbische Freundinnen auf Sinnsuche in die Lichtspielhäuser. Wie sehr sein eigenes Projekt geglückt ist, erfahrt ihr in der Kritik zu Drive-Away Dolls.
Drive-Away Dolls (2024: Ethan Coen)
Jamie (Margaret Qualley) lebt seit der Trennung von Ex-Freundin Sukie (Beanie Feldstein) ihr hemmungsloses Leben in vollen Zügen aus, wozu auch der Sex mit vielen verschiedenen Frauen zählt. Ihre beste Freundin Marian (Geraldine Viswanathan), die eher zurückhaltend in Bezug auf potentielle Partnerinnen gilt, möchte sie davon überzeugen, lockerer zu werden. Auf der Suche nach einem Neuanfang begibt sich das Duo auf einen spontanen Roadtrip Richtung Tallahassee. Unterwegs beginnen die Umstände jedoch schnell zu eskalieren, als die beiden durch einen Zufall an einen Koffer mit kuriosem Inhalt geraten. Fortan werden die beiden von einer Gruppe unfähiger Krimineller verfolgt, die das Gepäckstück dringend beschaffen müssen.

Lustiger Zufall
Ethan Coen etabliert mit Drive-Away Dolls seine erste Solo-Regiearbeit, nachdem er eine umfassende Filmografie von 18 Werken mit seinem Bruder Joel verbuchen kann. Während Letzterer sich mit einer erneuten Verfilmung des Shakespearean Macbeth an einen anspruchsvollen Stoff wagte und dies in entsprechender Schwarz-weiß-Montur umsetzte, wandert der jüngere der beiden Brüder mit diesem leichtfüßigen Roadmovie auf bekanntem Terrain.
Zufälle bestimmen die Handlung der Geschichte von Drive-Away Dolls, was als typische Motivik in dem Schaffen der Coen-Brüder etabliert wurde und exemplarisch für den schwarzen Humor des Gespanns steht. Denn wie die beiden Freundinnen Jamie und Marian an den besagten Koffer kommen, kann als Blaupause einer Coen’schen Szene betrachtet werden: Als die jungen Frauen bei einem Drive-Away Car Service einen PKW überführen möchten, treten sie zunächst dem ansässigen Angestellten Curlie (Bill Camp) entgegen, der sie mit seiner launigen Art in eine amüsante Dialog-Schlacht manövriert. Selbiger Arbeiter wird später von den Kriminellen heimgesucht, weil dieser Jamie und Marian den Wagen mit der Hehlerware überreicht hat, wobei es in dieser Szene zu einer repetitiven Humoristik im positiven Sinne kommt. Die Situation gilt als prototypisch für eine Komödie der Geschwister aus Minneapolis, da sie Randfiguren mit einer eigenen, absurden Art einführen, die aber gleichzeitig Handlung und die Hauptprotagonisten vorantreiben. Erinnert sei etwa an den missinterpretierten Revolver aus dem Debütfilm Blood Simple oder an den ikonischen Teppich des Dudes.

Die Freuden der bekannten Muster
Generell wirkt das muntere Treiben dieses jugendlichen Trips wie die queere Version von The Big Lebowski mit klassischen Elementen eines Coming-of-Age-Filmes. Die bereits angesprochenen inhaltlichen Elemente beschränken sich auf situative Zufälle und Koexistenzen in einem verschrobenen Mikrokosmos des Untergrunds. Zwar lässt Drive-Away Dolls den Tiefgang missen und die sexuelle Offenbarung wurde in artverwandten Werken schon empathischer und ambivalenter verhandelt, doch dies scheint überhaupt nicht der Ansatz von Ethan Coen zu sein. Die Dynamik eines klassisch ungleichen Duos funktioniert trotz des überzogenen Südstaaten-Dialekts von Margaret Qualley aufgrund der beiden Protagonisten, die auf zahlreich gut funktionierende Nebenfiguren treffen und durch spaßige Szenarien gejagt werden. Gefühl für Timing wird ein Ethan Coen wohl niemals verlieren. Die Gags vermögen nicht durchweg zu funktionieren, doch ikonische Momente wie die ausschweifenden Diskussionen der beiden Handlanger Arliss (Joey Slotnick) und Flint (C.J. Wilson) oder der Zwischenstopp bei einer Frauen-Fußballmannschaft avancieren zu Highlights der Misere. Generell fühlen sich die Haltestationen abseits der Straßen von Florida nach positiver Redundanz an, bei der das örtliche Ziel – wie immer – nicht von Bedeutung ist.

Solides ,Debüt'
Dass Drive-Away Dolls abseits der schmissigen Inszenierung als spaßige, sexuell aufgeladene Sinnesfahrt nicht versagt, liegt vor allem am Drehbuch. Dass die Coens ihre Stärken insbesondere am Stift haben und kreative Szenarien mit leichtfüßigen Dialogen erschaffen können, ist hinreichend bekannt. Dennoch war es eine gute und logische Entscheidung von Ethan Coen, seine Ehefrau und Cutterin Tricia Cooke mit ins Boot zu holen, um das Konzept von Frauendynamiken nicht auf eine Sichtweise zu beschränken. Gerade weil die Inszenierung in die Vollen geht und sich nicht vor explizit-absurden Sexszenen abschrecken lässt. Auch die Charakterisierung eines gespaltenen Amerikas findet sich in den Figuren wieder, wobei die Trennlinie zwischen spießig-konservativ und modern-progressiv allzu scharf verläuft.
Drive-Away Dolls lässt sich als eine poppige Version einer Coen’schen Nummernrevue bezeichnen und trotz besagter Leichtfüßigkeit wirkt der Solo-Eintrag von Ethan Coen als Ganzes weniger ausgreift als andere Werke unter seiner Co-Regie. An einigen Stellen beschleicht einem sogar das Gefühl, der Regisseur würde eine ironische Selbstdemontage eingehen; als würde ein Coen über sich selbst als aktueller Zeitgeist lachen. Die wahnwitzige Umsetzung und Auflösung des MacGuffins samt Cameo-Auftritt spräche für den Ansatz einer Persiflage. Wobei der Film die selbstreferenzielle Frage aufwirft, warum die bloße Existenz eines riesigen Dildos, der einem namhaften Politiker gehört, überhaupt für einen Lacher gut ist.
Schrill, schräg, solide. Mit den bekannten Stärken im Drehbuch drücken Ethan Coen und Tricia Cooke die richtigen Knöpfe bezüglich Timing, Pointen und Kurzweiligkeit. Zwar ergeben die amüsanten Szenarien und Passanten am Rande des Highways keinen durchweg runden Roadtrip ab, doch bei einer Kurzstrecke von unter 90 Minuten kann man problemlos per Anhalter mitfahren.




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