Filmkritik: Fallende Blätter
- Felix Knorr

- 16. Okt. 2023
- 3 Min. Lesezeit
Der finnische Erfolgsregisseur Aki Kaurismäki kehrte mit seinem neuesten Werk zu den Filmfestspielen von Cannes zurück. In Deutschland erreichte die umjubelte Tragikkömdie im September die Kinolandschaft. Wie das hingegen bei uns ankommt, erfahrt ihr nun.
Fallende Blätter (Kuolleet lehdet, 2023: Aki Kaurismäki)
Eine vom Glück nicht verwöhnte Frau (Alma Pöysti) verliert ihren Job im Supermarkt, weil sie abgelaufene Lebensmittel mitnimmt. Ein depressiver Mann (Jussi Vatanen) verliert seine Arbeit, weil er ständig während seiner Tätigkeit trinkt. Beide begegnen sich eines Nachts in einer Karaoke-Bar, verlieren sich schnell wieder aus den Augen. Doch die geteilte Einsamkeit lässt sie trotz verschiedener Hindernisse wieder zueinander führen.

Witz & Trauer
Aki Kaurismäkis neueste Tragikkomödie stellt den viertel Teil seiner Arbeitertrilogie dar, die mit Schatten im Paradies, Ariel und Das Mädchen aus der Streichholzfabrik seinen Ursprung fand. Der finnische Regisseur ist dafür bekannt, tragische Schicksale auf sanfte Art zu erzählen, wobei ein lakonischer, schwarzer Humor obligatorisch erscheint. Ähnlich wie bei humanistischen Filmeschaffenden wie Ken Loach oder Hirokazu Koreeda werden häufig soziale Missstände und die Arbeiterklasse thematisiert.
Auch in Fallende Blätter fallen die Dialoge der umherwandelnden Protagonisten spärlich aus. Die Komik in der Tragik der alltäglichen Ordnung wird durch ein simples Bild zu Beginn des Filmes karikiert. Der depressive Holappa zündet sich auf einer Parkbank vor seiner Arbeitsstelle eine Zigarette an, wobei hinter ihm das Rauchen-Verboten-Schild hängt. Der Witz der Szenerie wirkt repetitiv und konstruiert, doch das Brechen aus der sozialen Norm wird zum Wegweiser der weiteren Geschichte. Denn der tägliche Alkoholkonsum kostet dem abhängigen Mann seinen Job auf der Baustelle.

Gesellschaftlicher Bruch
Das gleiche Schicksal teilt er mit der alleinstehenden Ansa, die aufgrund von Diebstahl aus der Filiale geworfen wird. Anders als Holappa reagiert sie proaktiv auf die Umstellungen in ihrem Leben und ergreift auch die Initiative als sie schließlich auf den Gleichgesinnten trifft. Beide Parteien sehnen sich nach Geborgenheit, doch Holappas kontinuierlicher Bruch aus der Gesellschaft steht der gemeinsamen Zukunft im Wege. Als sich die beiden im Kino einen Zombiefilm ansehen, verliert er anschließend Ansas Nummer. Eine Funkstille entsteht, die mit Trostlosigkeit gefüllt werden muss.
Der gesellschaftliche Bruch und die Unsicherheiten des Individuums untermalt Kaurismäki mit der geopolitischen Situation. Immer wieder ertönen im Radio Nachrichtenfetzen über das grausame Massaker im Ukraine-Krieg. Auf die Umstände im Hintergrund reagieren die Protagonisten in Fallende Blätter zwar spärlich, doch sie können mögliche Gründe für den sozialen Abstieg darstellen. Vielleicht hat das aktuelle Geschehen auch keinen Einfluss auf die Geschichte und würde ohne die Politisierung funktionieren. Selbst dies würde die anhaltende Gleichgültigkeit paradoxerweise zementieren.
Schließlich gelingt es den beiden Suchenden doch noch, sich für ein Wiedersehen zu verabreden. Dafür wartet Holappa täglich vor besagtem Lichtspielhaus, und hofft, dass Ansa vorbeikommt. Zigarette an, Zigarette aus. Zigarette an, Zigarette aus. Schließlich steht sie vor ihm und lädt ihn zum Abendessen bei sich ein. Trotz der sparsamen Sprechanteile und der kühlen Mimik der Schauspieler strahlt der Film eine Wärme aus, selbst wenn das Duo mit einigem Abstand schweigend nebeneinander auf dem Sofa sitzt. Zwar wird die Liebschaft durch Holappas Alkoholsucht auf die Probe gestellt, seine Sehnsucht nach Ansa und eine körperliche Reinkarnation lässt die beiden im Sog des Herbstes nicht auseinanderdriften.

Betroffen sind wir alle
Filmhistorisch betrachtet werden soziale Dramen gerne in schwarz-weiß visualisiert, um den schändlichen Alltag explizit darzustellen. Kaurismäkis Inszenierung fällt im besten Sinne schlicht aus, die exzellent abgestimmte Farbakkordik des Production Design gibt dem Film eine Barmherzigkeit, ohne die Stimmung zu konterkarieren. Insbesondere die markante Szene in der gut gefüllten Karaoke-Bar wird zu einem optischen Höhepunkt. Neben dem skurril-schönen Gesangs-Auftritt von Holappas Freund Huotari (Janne Hyytiäinen) schafft es die Kamera eine Tiefe in das Bild zu bekommen, bei der der Fokus nicht nur auf den Protagonisten liegt. All die Menschen im Hintergrund, die Barbesitzern, die Sänger, die Gäste. All diese Personen haben ihre eigene Geschichte, ihre eigene Tragik. Da der kleine Werdegang eines Paares mit harten Schicksalen auf solch sanfte, witzige und humane Weise erzählt wird, verkommt dies nicht zu einer leeren Worthülse. Auch wenn Fallende Blätter im Fahrwasser von zahlreichen Tragikkomödien, in denen sich ein (un)gleiches Paar kennenlernt, fährt, und auch Kaurismäki seinen eigenen Stil zu adaptieren vermag, kann man mit diesen bitterschönen 81 Minuten kaum etwas falsch machen. Die beiden Hauptdarsteller tun dabei ihr Übriges und passen sich der natürlichen Tristesse angenehm an.
Anders als in vorherigen Filmen von Aki Karusimäki darf sich die Zuschauerschaft über ein hoffnungsvolles Ende freuen. Diese Hoffnung, nach der wir uns in aktuellen Zeiten so sehr sehnen. Der Bruch der Gesellschaft wird in Fallende Blätter zwar nur fiktionalisiert, doch der erzwungene Zeitbezug erhebt das Geschehen in realistische Sphären. Die Realität, in der wir alle sehnsüchtig nach Geborgenheit und einem gemeinsamen Kinobesuch suchen. Das Kino ist sowieso realer als die Realität.
Aki Kaurismäki erfindet sich mit seiner neusten Tragikkomödie nicht neu, doch hat dies überhaupt nicht nötig. Mit FALLEN LEAVES gelingt ihm ein sanftes und empathisches Werk, das der Liebe im tristen Alltag eine faire Chance gibt.




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