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Filmkritik: John Wick: Kapitel 4

  • Autorenbild: Felix Knorr
    Felix Knorr
  • 1. Juni 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 15. Juni 2023

John Wick könnte als der Actionakteur unserer Generation stehen. Nicht nur weil Keanu Reeves in den letzten Jahren enorme Beliebtheit vom Publikum erfahren hat, sondern weil die spektakuläre Filmreihe eine eigene Handschrift aufweist. Die Handschrift, die maßgeblich vom ehemaligen Stuntman und Regisseur der Tetralogie geprägt ist: Die Kampf- und Schusseinlagen werden von Chad Stahelski bis ins letzte Detail choreografiert und durchstilisiert. Ob der vierte Teil der Saga an die Stärken (oder Schwächen) anknüpfen kann, erfahrt ihr nun.

John Wick: Kapitel 4 (John Wick: Chapter 4, USA 2022: Chad Stahelski)


John Wick (Keanue Reeves) ist noch immer auf der Flucht, nachdem er die Regeln der Hohen Kammer nicht nur einmal gebrochen hat. Während der höchsten Vertreter der Kammer Marquis de Gramont (Alexander Skarsgard) sein Kopfgeld stetig steigen lässt, rekrutiert er zudem alte Freunde und lässt sie zu Feinden werden – darunter den blinde Auftragskiller Caine (Donnie Yen). Mit der Untersützung einstieger und neuer Weggefährten darf sich der Mann mit den schnellen Pistolen wieder durch die halbe Welt schießen, um irgendwie seine Freiheit zu erreichen…

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© LEONINE Studios

Weniger Labern, mehr Ballern

Die Reihe um unseren wortkargen Antihelden hat sich mittlerweile als millionenschweres Franchise etabliert, dass Regisseur Chad Stahelski sein Universum entsprechend ausweiten lässt. Der vierte Teil der Saga kommt auf stolze 169 Minuten und nutzt diese in traditioneller Weise aus. Keanue Reeves darf also wieder mit vereister Mimik durch zahlreiche opulente Locations rennen und wahlweise mit Gewehren, Pistolen, Messern, Hunden, Fäusten, Tritten, Knien und alles, was sonst anatomisch möglich ist, austeilen. Welcher begeisterter Zusehender nun erwartet, dass sich John Wick: Kapitel 4 ausschließlich um ein actiongeladenes Spektakel – ausgeweitet auf fast drei Stunden – beschränkt: Der wird nicht enttäuscht. Der einleitende Text zum Film-Inhalt musste schon ziemlich gestreckt werden, um überhaupt auf mehr als zwei Zeilen zu kommen. Denn wie bei den Vorgängern verzichtet Stahelski auf eine verzwickte Handlung. Oder eine dialoglastige Handlung. Oder Handlung. Dass sich diese Reihe das besonders im vierten Teil bewusst ist, kann einiges entschuldigen.


Nachdem John Wick den Ältesten der Hohen Kammer in einer Wüste in Jordanien hinrichtet, wird der irrsinnige Marquies de Gramont beauftragt, den Mann im Anzug unwiderruflich auszuschalten. Dadurch werden neben einem – im Laufe der Geschichte stetig ansteigendem – Kopfgeld, auch einzelne Profikiller wie der blinde Caine (Donnie Yen) oder der namenlose Tracker (Shamier Anderson) mit seinem Kampfhund beauftragt. In einem Contintal-Hotel in Osaka findet John Wick unterdessen Zuflucht bei seinem Freund Shimazu (Hiroyuki Sanada) und auch einstiege Wegbegleiter wie der Hotelbesitzer Winston (Ian McShane) und der Bowery King (Laurence Fishbourne) stehen wieder an seiner Seite. Fraglich bleibt unterdessen, wie es John Wick schaffen kann, seine Freiheit endgültig zu erlangen. Dafür braucht es neben drastischen Gewaltausbrüchen diesmal auch einen Plan, der die Strukturen der Hohen Kammer betrifft.


Fans der spektakulären Filme wissen, dass schon die Handlung für das Ursprungswerk nur ein Aufhänger für das dynamische Geballer und die Kampfeinlagen war. Der Tod eines Hundes sei zwar nicht kleinzureden, aber diesen als Dominostein für eine Schlacht mit der Untergrund-Gesellschaft ins Rollen zu bringen? Ich weiß ja nicht. Dieser ironische Unterton gepaart mit der ikonischen Action-Inszenierung scheint das Markenzeichen der Franchise zu sein und so unbeirrt nimmt auch dieses Werk seinen (Pistolen-)Lauf.


Die geliebte Serie lebt von einer überstilisierten Hochglanz-Action ohne Ecken und Kanten und steht gewissermaßen konträr zu den Actionfilmen der 1980er- oder der frühen 2000er. Während letztere eher auf charmante, gewitzte oder diabolische, ambige (und damit in jedem Fall) interessante Charaktere setzen und dafür die spektakulären Szenen eine dreckige Derbheit in ihrer Optik besitzen (man denke an Schwarzeneggers Oevre oder Im Körper des Feindes von John Woo), verläuft dies in John Wick konträr.

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© LEONINE Studios

Hochglanz ohne Herz

Bevor die Filmreihe mit John Wick das erste Mal das Licht der Hollywood-Welt erblickte, gingen Videos von Keanu Reeves Schießtraining viral, in denen der Schauspieler gekonnt mit einer Schusswaffe umgeht und sich entsprechend auf seine Rolle vorbereitete. In den Filmen ordnet sich alles der nahtlosen Choreografie unter und verweist auf die Vergangenheit des Filmemachers Chad Stahelski hin. Denn der Regisseur arbeitete nicht nur als Stunt-Double für Keanue Reevese in der Matrix Saga, sondern war er auch als Stunt-Choreograph u.a. an dem Film Bloodsport 2 tätig. Stahelski hat nicht nur eine populäre Action-Reihe erschaffen, sondern auch ein eigenes Universum in seiner Filmwelt aufgebaut.


Bei John Wick: Kapitel 4 fällt noch deutlicher auf, was auch schon in den Vorgängern zuhauf angedeutet wird: Mit Realismus möchte das Franchis überhaupt nichts zu tun haben. Der Film ähnelt in vielen Punkten an eine Graphic Novel, bei denen das Geschehen außerhalb des Untergrunds inexistent ist. Ständig wechselnde Orte (Paris, Berlin, Jordanien) verkommen zu einem großen Rahmen für eine dünne, recycelte Handlung. Bei den gewählten Kulissen geht es um den möglichst coolen Look bei den Tänzen mit der endlosen Munition. Es sind gewissermaßen Nicht-Orte, die monofunktional genutzte Flächen im urbanen Raum darstellen und sich der Anmut der perfekt choreografierten Gewalteinlagen unterordnen. Genutzt werden dabei weite Räume mit viel Glas, auf denen die Blutspritzer in ästhetischer Musterung erfolgen können; Neonlichter und ein generell ständig wechselndes Farbspiel sowie opulente Lokalitäten. Als Beispiel sei an dieser Stelle der exzessive Szene-Club in der deutschen Hauptstadt genannt.


In diesem Berliner Club wird jedoch auch das Fernleben jeglicher Menschheit deutlich. Die tanzenden Besucher:innen scheint es nur physisch zu geben, reagieren sie nicht mal darauf, wenn inmitten der Tanzfläche wahllos Leute erschossen werden. Wie in Trance räkeln sie sich zu der elektronischen Musik und dienen dabei als Symbol des Werkes: John Wicks Kämpfe mit Messer und Pistole sind überstilisierte Tanzeinlagen, die als blutige Kämpfe um Leben und Tod getarnt werden.

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© LEONINE Studios

Mythos des Metzelns

Diese menschliche Abstinenz spiegelt sich jedoch in den Figuren wider, die zu karikaturesken Hybriden aus Mensch und Untergrundwesen verkommen. Äußerlich wird dies am ausfälligsten durch Scott Atkins gemimten Charakter Killa, der mit seinem dreckigen Lachen an Kingpin aus den Superman-Comics erinnert. Negativ fällt dies bei Bill Skarsgard auf, der wohl den langweiligsten und nervigsten Gegenspieler im bisherigen Universum porträtieren darf. Auch Shamier Andersons Figur scheint nur zu existieren, damit die traditionellen Hunde-Szenen ergänzt werden können – hier zeigt sich erneut die Unterordnung gegenüber Choreografie und Spektakel (Böse kann man nicht sein, ein Biss in die Eier ist immer witzig).


Fraglich bleibt der Mythos des John Wicks und die entsprechende Darbietung von Keanu Reeves. Ist es schlichtweg fehlendes Talent, dass der Charakter aus nur einem Gesichtsausdruck besteht? Wurde der beliebte Darsteller mit ausreichend Kampferfahrung gesucht und gefunden? Oder bildet eben diese Mimik die symbolische Ordnung der gesamten Filmreihe? Der schlichte und unauffällige (Anti-)Held einer Odyssee, der die gesamte Gewalt eines Universums auf sich lenkt und mit eisernem Blick widerstrebt? Dass ein Action-Franchise diese Fragen zulässt, spricht zumindest für die Handschrift Stahelskis Und stellt vielleicht sogar eine Zäsur für das Genre des Actionfilmes dar.


Das vierte Kapitel von John Wick läuft nicht auf neuen Wegen, aber erklimmt in Windeseile die Spitze des Berges. Das kann man nach fast dreistündiger Wanderung ermüdend finden; oder man genießt die epochale Aussicht samt Bildschirmschoner-Sonnenuntertag. Passender als bei diesem Franchise kann man wohl nicht floskeln: Wenn einem die bisherige Trilogie gefiel, wird man John Wick Kapitel 4 lieben. Wer diese von Form von Action als monoton erachtet, wird auch bei diesem Teil vergeblich nach Innovation suchen. Sollte man zu besagter zweiter Gruppe gehören, lässt sich zumindest positiv resümieren, dass sich kein Teil so wenig selbst ernst nimmt. Bedingt wird dieses Augenzwinkern durch die Comic-ähnliche Welt von John Wick, die dies nie auf penetrant metatextuelle Weise wie artverwandte Konsorten (z.B. die unsäglichen Deadpool-Filmen) praktiziert.


Eine Serie namens The Continental, die die Vorgeschichte der Hotelkette und ihrer Angestellten erzählt, erscheint noch dieses Jahr. Das Spin-Off Ballerina mit Ana de Armas und John Wick in einer Nebenrolle wird aktuell produziert. Auch ein nächster John Wick Teil darf man Anbetracht des enormen Erfolges nicht ausschließen. Jedes lohnende Hollywood-Franchise expandiert und selbst wenn es sich um eine nicht jugendfreie Version handelt – die Marvelisierung wird auch hier nicht anhalten. Fraglich bleibt, inwiefern man Gesehenes in John Wick Kapitel 4 – gemeint ist nicht unbedingt die allgemeine Qualität, sondern das quantitative Ausmaß der stilisierten Gewalteskapaden und Choreografien – noch zu toppen ist.


John Wick ist einfach nur geil, weil da viel geschossen wird und die Kamera pornös aussieht lel^^

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